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Wie grün und nachhaltig ist die Zukunft der Luftfahrt?

Sven Taubert über Nachhaltigkeit in der Luftfahrtindustrie bei Lufthansa Technik.

Die Zukunft des Luftverkehrs wird dieser Tage im Zusammenhang mit ökologischer Nachhaltigkeit und Innovation breit diskutiert. Die Luftfahrt bildet auch einen bedeutenden Teil der Logistikindustrie, weshalb in den letzten Jahren bereits große Anstrengungen unternommen wurden, um die Luft- und Raumfahrtbranche zu innovieren. Sven Taubert, Leiter der Abteilung Corporate Foresight & Market Intelligence bei Lufthansa Technik, begleitet die Innovationsabteilung, des Lufthansa-Konzerns seit dem Tag ihrer Gründung. In diesem lockeren Austausch gehen Chris Mühlroth von ITONICS und Sven Taubert der Frage nach, was Innovation für den Luftverkehr und die Tourismusbranche bedeutet und wie sich diese - im wahrsten Sinne des Wortes "nachhaltig" verändern wird.

Um Innovationen, Technologien, Projekte und Chancen zu managen, ist es entscheidend, die richtigen Werkzeuge zur Hand zu haben. Nur so können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien in einer zunehmend unsicheren und dynamischen Welt erfolgreich umzusetzen.

Effizienz

Die TRL- Methode (Technology Readiness Levels) gehörte mit zu den ersten Praktiken, die Sven gleich zu Beginn seiner Innovationskarriere zum Einsatz gebracht hat. Die TRL-Methode wird in zahlreichen Industrien angewendet, um den Reifegrad von Technologien zu bestimmen. Bei ITONICS arbeiten wir ebenfalls mit TRL-Messwerten, um neue Technologien auf dem ITONICS-Radar entsprechend einzuordnen und zu evaluieren. Laut Sven sind fest etablierte Prozesse im Innovationsmanagement unverzichtbar, wenn man zur Weltspitze im MRO-Bereich (Maintenance, Repair, Operations) dazugehören möchte. 

Effizientes Innovieren erfordert Methoden, die verschiedene Kriterien erfüllen; für die Luftfahrtindustrie ist ein solcher Maßstab die Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen.

In den letzten zehn Jahren wurden große Fortschritte bei der Priorisierung der Agenda für nachhaltiges Wirtschaften erzielt. Obwohl die Umstellung nur langsam vonstatten geht, ist bereits ein bemerkenswerter Wandel in der Denkweise zu verzeichnen.

Unternehmen sehen sich mit immer höheren Kundenerwartungen als auch mit immer strengeren Vorschriften konfrontiert, wenn es darum geht ihren Betrieb so ressourceneffizient wie möglich zu gestalten. Dies beinhaltet v.a. Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, wie ein verantwortungsvollerer Wasserverbrauch oder die Reduzierung von Emissionen. Laut Sven ist die Treibstoffeffizienz in der Luftfahrt ein integraler Bestandteil des Nachhaltigkeitsdiskurses, und er weist darauf hin, dass die Lufthansa Group in puncto Treibstoffverbrauch bereits zu den effizientesten Unternehmen gehört. Um die nächste Stufe der Nachhaltigkeit einzuleiten, müssen allerdings erst neue Technologien entwickelt werden.

Kurzfristige Schritte auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen werden hybride Ansätze sein; bei der Lufthansa Technik wird bereits an Ansätzen mit künstlichen Kraftstoffen gearbeitet. Aber was passiert, wenn die Technik erst aufholen muss, um weitere Schritte in eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen?

Es reicht nicht aus, ESG-Kennzahlen nur um der Compliance willen zu verfolgen. Unternehmen, die ESG-Bemühungen ganzheitlich in ihre Geschäftsstrategie und Innovationsbemühungen integrieren und dabei über die Benchmark-Ziele hinausgehen, werden einen Wettbewerbsvorteil erlangen, indem sie der Zeit voraus sind.

So sehr die Technologie es bereits ermöglicht hat, kritische Herausforderungen anzugehen und Lösungen zu finden, gibt es nach wie vor Fälle, in denen die Technologie erst weiterentwickelt werden muss, um Nachhaltigkeit  zu steigern und skalierbar zu machen. Innovation und Nachhaltigkeit beginnen und enden jedoch nicht mit der Technologie. Umweltscanning, Wissensmanagement und die kontinuierliche Ausarbeitung eines Innovationsportfolios sind wichtige Säulen für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsroadmap

Skalierbarkeit von Innovationen

Innovationen, die die Nachhaltigkeit vorantreiben, müssen skalierbar sein. In diesem Zusammenhang weist Sven darauf hin, dass nicht alle nachhaltigen Lösungen am Ende auch wirklich skalierbar sind. Um zu verstehen, ob eine Lösung vollständig skalierbar ist, müssen zunächst entsprechende Untersuchungen und Prototyping stattfinden. Zudem stellt Sven die Vermutung an, dass die unmittelbare Zukunft von nachhaltigen Innovationen sehr wahrscheinlich eine Kombination aus verschiedenen Methoden und Techniken sein wird.

Die kontinuierliche Hinterfragung, ob Innovationen sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht sinnvoll sind, wird uns helfen, ihre Skalierbarkeit zu bestimmen. Neben der Anwendung verschiedener Strategien verweist Sven auf nachhaltige Innovationen, die bereits im Transportwesen an Land eingesetzt werden. Zu wissen, welche das sind und welche Auswirkungen sie auf die Luftfahrt haben könn(t)en, ist für die Erstellung zukünftiger Szenarien in der Luftfahrt mehr als hilfreich.

Mobilität wird in Zukunft von Konsumenten in großem Maße nach ihren ökologischen Auswirkungen beurteilt, was man an dem von Greta Thunberg geprägten Begriff "Flygskam" (auf Deutsch “Flugscham“) deutlich erkennen kann. In unserem ITONICS Report zum Thema Innovation & Nachhaltigkeit (ausschließlich in Englisch) diskutieren wir darüber, wie das Reisen durch die Anpassung zunehmender Nachhaltigkeitsstandards beeinflusst wird.

Um das Systemdenken in die Entscheidungsfindung zu integrieren, sind maßgebliche Anpassungen in der Denkweise, den Betriebsmodellen, den Prozessen und den Werkzeugen erforderlich.

Die Bedeutung der Innovationsvielfalt

Erfolgreiches Innovieren im Jahr 2021 erfordert die Auseinandersetzung mit sozialen, ökologischen, ökonomischen und technologischen Problemen sie eine entsprechende Ausarbeitung von Lösungsansätzen. Sven hat dies bereits erkannt und verweist in diesem Zusammenhang auf die Diversität seines Teams, die er als großen Vorteil sieht. Das Innovationsteam der Lufthansa Technik setzt sich zusammen aus den Abteilungen Strategie, F&E, Market Intelligence und Foresight. Gerade dieser Mix aus unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven sei ein maßgeblicher Faktor für den Erfolg seines Teams, so Sven. Diversität verankert in Wissen, ist mit ein Grundstein für eine globale Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Sein breit aufgestelltes Team und das damit vorhanden Wissen in den unterschiedlichen Bereichen trägt wesentlich dazu bei, den Rahmen des praktisch Machbaren realistisch abzustecken. Ebenfalls von Vorteil, ist die frühzeitige Einbindung eines solchen Teams in Diskussionen und Feedbackschleifen zu einzelnen Planungs- und Entwicklungsschritten, um von dem breit vertretenen Fachwissen zu profitieren und Innovationen gezielt voranzutreiben.

Strategische Foresight-Prozesse

Wenn es um die Einführung eines systematischen Innovationsprozesses geht, ist laut Sven eine gute Dokumentation das A und O. Dies betrifft in erster Linie die Dokumentation der einzelnen Schritte eines Innovationsprojekts - selbst bei den Projekten, die es am Ende nicht bis zur Umsetzung schaffen. Eine Dokumentation vergangener Leistungen, Grenzen, Erfolge und Misserfolge kann für zukünftige Innovationen enorm wertvoll sein. Auch die Analyse vergangener Prozesse im Abgleich mit der heutigen Realität und neuen Entwicklungen kann sich für den Innovationsprozess als sehr förderlich herausstellen. Dieser Prozess ist auch bei der Bewertung neuer Technologien und des Fortschritts von Technologien wertvoll.

Die Einstufung geplanter Innovationen nach Ihrem Nachhaltigkeitsgrad hilft dabei, Feedbackschleifen in den Entwicklungsprozess neuer Technologien zu integrieren.

Um ein vollständiges Bild über die Innovationsmöglichkeiten zu erhalten, müssen die Teams kontinuierlich neue Entwicklungen, Gesetze, veränderte Verbraucherstimmungen, Verhaltensweisen und Technologien bewerten. Eine Methode, die in diesem Zusammenhang bei Sven und seinem Team ebenfalls zum Einsatz kommt, ist die Szenarioplanung. Unterstützt durch das ITONICS Tool lassen sich Innovationsprozesse effektiv kommunizieren und dokumentieren. Durch die regelmäßige Teilnahme an Konferenzen und ein kontinuierliches Umfeldscanning lassen sich für den Innovationsprozess aktuelle Informationen identifizieren, um somit unmittelbar am Puls der Zeit agieren zu können. 
Warum aus Sven’s Sicht die Teilnahme an Konferenzen weitaus mehr beinhaltet als nur die eigene Anwesenheit, ist schnell erklärt: Ein großer Teil des Mehrwertes liegt vor allem in der Interaktion mit den Menschen vor Ort, die an diesen Konferenzen teilnehmen. Die Möglichkeit, sich mit einem so breiten Netzwerks an Experten auszutauschen und inspirieren zu lassen, sei unbezahlbar.

Letztendlich, so Sven, ist das Abbilden der Zukunft bzw. von Innovationen, die mit Zukunftsszenarien übereinstimmen, eine heikle Balance zwischen Business Cases, Beweisen, Forschung und einem Bauchgefühl. Verlässliche Prozesse und Qualitätswerkzeuge helfen enorm, aber es gibt auch ein Bauchgefühl, das einen bei den richtigen Innovationsentscheidungen leitet.

Verantwortliches Handeln solle immer als Leitgedanke über allen Aktivitäten eines Innovationsteams stehen, wenn es darum geht neue Wege zur Schaffung von Geschäftswerten zu entdecken und gleichzeitig gut für die Umwelt und die Gesellschaft zu sein.

Als Antwort auf die Frage was wir in den nächsten Jahren von der Luftfahrtindustrie erwarten dürfen, verweist Sven auf die Nutzung diverser Technologien zur Erfüllung spezifischer Bedürfnisse hinsichtlich Reichweite und Kapazität von Flügen. Er fügt außerdem hinzu, dass es mehr Vielfalt in der Ausgestaltung geben könnte, wie Flugzeuge zukünftig aussehen, um die Erwartungen an Effizienz und Nachhaltigkeit zu erfüllen. Periphere Dienstleistungen und Produkte wie Flughäfen werden sich ebenfalls anpassen und in ihren Prozessen flexibler werden müssen. Am Beispiel der Digitalisierung verdeutlicht er noch die Notwendigkeit von Innovationen, die unserer heutigen und zukünftigen Komplexität gerecht werden.

Sven Taubert-2

Auch wenn Sven Taubert bereits heute auf einige Sternstunden in seiner Zeit bei der Lufthansa Technik zurückblicken kann, so bleibt der leidenschaftliche Vielflieger immer mit beiden Beinen am Boden und stets auf die Zukunft fokussiert, sodass er wahre Erfolgsmomente manchmal erst später wahrnimmt. Ohne Zweifel können wir auch in Zukunft viele spannende Innovationen und Entwicklungen von Sven und seinem Team zu erwarten.

Vielen Dank Sven, für diesen spannenden Austausch! 

Das ganze Interview ist auch als Podcast auf Spotify und Apple Podcast oder als Video verfügbar.